Spracherkennung „Dragon“ auf Rezept – So geht’s!

Auf die Software zur Spracherkennung „Dragon“ besteht für gesetzlich Versicherte ein Anspruch gegen die Krankenkasse – bei entsprechendem Hilfebedarf.

Schwierigkeiten beim Schreiben und Tippen

Ellie ist ein neunjähriges Mädchen. Sie besucht die Schule und geht am Nachmittag ihren Lieblingsfreizeitaktivitäten nach. Dennoch läuft bei ihr alles ein bisschen anders als bei den übrigen Kindern ihres Alters. Denn zum Leben von Ellie gehört auch der Umstand, dass sie von einer Zerebralparese betroffen ist. Durch eine Hirnblutung im Kleinkindalter ist ihre Bewegungssteuerung gestört; ihre Motorik ist zum Teil ruckartig, ihre Muskeln sind versteift. Besonders betroffen davon sind ihre Handbewegungen. Das Halten eines Stiftes fällt Ellie sehr schwer, ihre Handschrift ist kaum lesbar. Auch die Bedienung einer Computertastatur will nicht gelingen.

Spracherkennung mit „Dragon“

Nun ist das kein Nachteil, den man beim heutigen Stand der Technik nicht ausgleichen könnte. Handys lassen sich per Sprachsteuerung bedienen. Am Computer können ganze Texte per Spracherkennung diktiert werden. Doch, wer kennt es nicht, ganz so gut funktioniert die Spracheingabe dann meistens nicht. Das Handy stellt den Wecker eine Stunde zu spät ein, der Computer verdreht die Wörter. Deshalb gibt es darüber hinaus professionelle Programme. Sie haben einen größeren Funktionsumfang, vor allem aber eine präzisere Spracherkennung. „Dragon“ ist ein oft in diesem Zusammenhang genanntes Programm. Es hat seinen Preis, kostet aber kein Vermögen. Na bravo! Wäre das nicht das richtige für Ellie?

Spracherkennungssoftware auf Rezept!
Unbezahlte Werbung. Illustrationen: Nuance

Ablehnung von der Krankenkasse

Ja, sagen die Eltern von Ellie. Nein, sagt die Gesetzliche Krankenkasse, bei der die Eltern die Kostenübernahme von knapp 600 Euro im Jahr 2016 beantragt haben. Das hört sich nach einem besonders fiesen Fall von Verweigerung der Krankenkasse an und ist es auch. Ein behindertes Kind soll in der Schule und Zuhause altersgerecht schreiben und den Computer bedienen können und die Krankenkasse stellt sich quer? Ihre Argumente:

  • Bei der Software handele es sich um einen handelsüblichen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. (→ § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V)
  • Die Sprachansteuerung des PCs könne problemlos über die übliche Windows-Software erfolgen.
  • Es stelle sich zudem die Frage, warum der Schulträger diese Software nicht zur Verfügung stelle. Diese Frage sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Schulgesetz bestimme, dass die öffentlichen Schulen allen Schülerinnen und Schülern einen barrierefreien und gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen haben.

Die Entscheidung des Sozialgerichts

Das sind durchweg schwache Argumente. Zum Glück hat sich ein Anwalt der Sache angenommen und auch die Gerichte sind Ellie beigesprungen. In der ersten Instanz wurde die Krankenkasse vom Sozialgericht Oldenburg zur Übernahme der Kosten für die Spracherkennungs-Software Dragon verurteilt. Da die Krankenkasse hiergegen noch in Berufung ging, musste sich schließlich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit der Sache befassen (Urteil vom 01.04.2020 – L 4 KR 187/18). In seinem Urteil entkräftete es die Argumentation der Krankenkasse:

  • Die Versorgung sei in diesem Einzelfall auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Hilfsmittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist. Denn zu dem Zweck, die Behinderung von Ellie, insbesondere die motorischen Einschränkungen der Hände auszugleichen und so eine einigermaßen gleichgestellte Leistungsfähigkeit im schulischen Bereich zu ermöglichen, werde die Spracherkennungs-Software Dragon üblicherweise nicht von Kindern genutzt.
  • Ellie könne nicht auf die Windows-eigene Sprachsteuerung (Cortana) verwiesen werden, die jedenfalls Mitte 2016 noch nicht so entwickelt war, dass bereits das Erstellen und Verfassen von Kurz- und Langtexten für ein Kind unproblematisch möglich war.
  • Gegen die Schule bestehe kein Anspruch auf Ausstattung des Arbeitsplatzes von Ellie mit Dragon. Selbst wenn, helfe dies nicht darüber hinweg, dass die Software auch zu Hause benötigt wird.

Fazit

Das Urteil zeigt mal wieder, dass es lohnt, sich nicht mit ablehnenden Bescheide der Gesetzlichen Krankenkassen zufriedenzugeben. Egal, ob es gerade um Ausstattung mit Software zur Spracherkennung oder um etwas anderes geht: Die Krankenkassen haben in Teilen den gesetzlichen Auftrag knauserig zu sein, aber das ist nicht jedes Mal gerechtfertigt.

Hier geht’s zum Urteil des Landessozialgerichts, hier zu einer zusammenfassenden Pressemitteilung desselben.

Schwerbehinderung: Antworten auf die 6 wichtigsten Fragen

Was bedeuten Schwerbehinderung und Grad der Behinderung? Welche Leistungen stehen mir zu? Als Fachanwalt für Sozialrecht beantworte ich die wichtigsten Fragen.

1. Was bedeutet Behinderung im sozialrechtlichen Sinne?

Der Begriff der Behinderung hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Früher wurden hauptsächlich die (vermeintlichen) Funktionsdefizite von Körper und Verstand eines Menschen betrachtet. Heute wird die Behinderung ganzheitlicher gesehen. Zum einen wird auch die seelische Gesundheit (Depressionen, etc.) beachtet. Zum anderen kommt es auf die Wechselwirkungen mit der Gesellschaft an. Ein anders gearteter Körper wird nur dann zur Behinderung, wenn die Gesellschaft mit ihren Regeln und ihrer Lebensweise eine Behinderung daraus macht. Das Gesetz spricht von „einstellungs- und umweltbasierten Barrieren“ (§ 2 SGB IX). Eine Behinderung im sozialrechtlichen Sinne liegt deshalb unter folgenden Voraussetzungen vor:

  1. Der körperliche, geistige oder seelische Zustand einer Person unterscheidet sich von dem des Bevölkerungsdurchschnitts.
  2. Der Zustand ist chronisch (länger als sechs Monate). Es genügt ein drohender (chronischer) Zustand.
  3. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist dadurch beeinträchtigt. Es handelt sich um alle vorstellbaren Schwierigkeiten, vom Gehen über das U-Bahn-Fahren bis zum Arbeiten, etc.

2. Was ist der sogenannte Grad der Behinderung? (Tabelle)

Nun wiegt nicht jede Behinderung gleich schwer. Manche beeinträchtigen das gemeinschaftliche Leben mehr, andere weniger. Daher werden je nach Schwere auch unterschiedliche Leistungen zuerkannt. Im Sozialrecht wird zwischen Graden von Behinderung unterschieden, die in 10er-Schritten von 0 bis 100 aufgebaut sind (ähnlich wie Prozente).

Welcher Zustand und welche Krankheit und Beeinträchtigung zu welchem Grad der Behinderung führen, ist gesetzlich relativ genau festgelegt. Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) enthält in ihrer Anlage eine umfassende Auflistung/Tabelle von Gesundheitsstörungen sowie die zugehörigen Grade der Behinderung.

Die konkrete Bestimmung des Grades der Behinderung einer Person erfolgt durch eine: ärztliche:n Gutachter:in. Aus der Praxis weiß ich, dass die Begutachtung durchaus fehleranfällig ist. Widerspruch und Klage können sich lohnen!

Hinweis: Liegen aufgrund mehrerer Beeinträchtigungen auch mehrere Grade der Behinderungen vor, kommt es nicht einfach zur Addition. Es wird vielmehr der höhere Grad der Behinderung als Ausgangsbasis genommen. Sodann gibt es einen Aufschlag für die weiteren Beeinträchtigungen in ihrer Wechselwirkung zueinander. Klingt kompliziert? Ist es auch – und daher ebenfalls eine häufige Fehlerquelle beim Thema Schwerbehinderung.

3. Was bedeutet Schwerbehinderung?

Schwerbehindert ist, wer einen Grad der Behinderung von 50 aufweist. Das ist deshalb bedeutsam, da sich hieran besondere rechtliche Folgen anschließen. Personen mit einem solchen GdB erhalten erweiterte Leistungen (siehe unten) und einen Schwerbehindertenausweis.

Personen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 können Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Das heißt, sie haben im Grundsatz Anspruch auf dieselben Leistungen. Diese Gleichstellung steht allerdings unter einer Voraussetzung. Die Beeinträchtigung muss konkret dazu geeignet sein, die Teilnahme am Arbeitsleben zu gefährden, zum Beispiel durch häufige Fehlzeiten, geringere Belastbarkeit oder eingeschränkte Mobilität infolge der Behinderung. Die dann mit der Gleichstellung zur Schwerbehinderung folgenden Leistungen stehen mit diesen Nachteilen im Zusammenhang: besonderer Kündigungsschutz, behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung, Beschäftigungsanreize für Arbeitgeber, etc.

4. Was sind Merkzeichen und welche gibt es?

Merkzeichen sind ein weiterer Bestandteil des sozialen Behinderungsrechts. Sie sind zum Teil ebenfalls in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung aufgelistet. Die Merkzeichen folgen dem Gedanken, dass manche Beeinträchtigungen, die vielleicht für sich noch nicht einmal einen Grad der Behinderung von 50 rechtfertigen, in ihrer Wirkung für das Alltagsleben besonders herausragen. Personen, denen ein solches Merkzeichen zuerkannt wurde, erhalten deshalb nochmals besondere Ausgleichsleistungen. Es gibt unter anderem folgende Merkzeichen:

  • Merkzeichen G: Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (zum Beispiel blinde und taube Menschen)
  • Merkzeichen aG: außergewöhnliche Gehbehinderung (zum Beispiel Notwendigkeit für Rollstuhl)
  • Merkzeichen B: Begleitung erforderlich
  • Merkzeichen Bl: blind
  • Merkzeichen Gl: gehörlos
  • Merkzeichen H: hilflos
  • Merkzeichen TBl: taubblind
Schwerbehinderung wird mit staatlicher Unterstützung etwas leichter
Foto: Vlada Karpovich

5. Welche Leistungen gibt es auf welcher Stufe? (Tabelle)

Die Leistungen bei Behinderung sind sehr vielfältig. Eine vollständige Darstellung würde hier zu komplex geraten. Überblicksweise sei darauf hingewiesen, dass es unter anderem Leistungen in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Geld (Geldleistungen und Steuererleichterungen), Alltagsleben (Parkplätze, uvm.), Mobilität (Begleitung, spezielle Kfz, etc.) gibt. Das im Sozialbereich tätige gemeinnützige beta-Institut hat eine hübsche tabellarische Übersicht erstellt. Ebenfalls das beta-Institut gibt jedes Jahr einen ausführlichen Ratgeber zum Thema Behinderungen und Nachteilsausgleich heraus (hier die Version für 2021).

Wie immer gilt außerdem: Beantragen Sie alles, was in Betracht kommt! Nicht Sie sollen Ihren Grad der Behinderung und die zugehörigen Leistungen feststellen. Lassen Sie das ruhig die Behörde machen. Wenn Sie dann mit dem Ergebnis unzufrieden sind, können Sie immer noch über weitere Schritte wie Widerspruch und Klage nachdenken.

6. Wo stelle ich einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung?

Zuständig für Anträge auf Zuerkennung eines Behinderungsgrades und der Schwerbehinderung inklusive der Ausstellung eines Ausweises sind die nach Landesrecht zuständigen Versorgungsämter. In Berlin ist das zum Beispiel das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), in Brandenburg das Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV).

4 wichtige Tipps für Pflegegrad und Pflegestufe

Pflegebedürftigkeit betrifft irgendwann fast alle alten Menschen. Für sie und ihre Angehörigen bleibt es dennoch oft ein schwer zu überblickendes Thema.

Tipp 1: Pflegegrad vs. Pflegestufe

Mehmet ist 60 Jahre alt. Jede Woche geht er seinen Vater Mustafa besuchen. Der wohnt alleine; Mehmet bringt Einkäufe und Zeit für eine Tasse Tee mit. Mustafa würde man auf den Blick als rüstigen Rentner bezeichnen. Er ist zwar schon 85 Jahre alt. Doch ist er noch flott auf den Beinen und überholt bei seinen täglichen Spaziergängen so manchen trödeligen Hipster auf den Straßen Berlins.

Mehmet hat allerdings ein Problem. Mustafa ist dement und dies schon im fortgeschritteneren Stadium. Manchmal kommt er von seinen Spaziergängen nicht mehr nach Hause und Mehmet muss ihn suchen. Mustafa vergisst seine Medikamente, den Abwasch und die Lebensmittel im Kühlschrank. Er schließt teure Abos ab und kauft sich einen neuen Sportwagen. Mehmet müsste viel öfter zu Besuch kommen oder sein Vater bräuchte eine bessere professionelle Betreuung. Doch gibt es dafür genug Geld von der Pflegekasse?

Der Pflegegrad, bzw. die Pflegestufe entscheidet maßgeblich über die Lebensqualität im hohen Alter.
Der Pflegegrad, bzw. die Pflegestufe entscheidet maßgeblich über die Lebensqualität im hohen Alter.

Diesen Fall habe ich einem von mir bearbeiteten Mandant nachgezeichnet. Das liegt schon einige Zeit zurück und so stellte sich die Frage nach der Unterstützung von der Pflegeversicherung noch dem alten Recht der Pflegestufen. Damals gab es im Wesentlichen drei Pflegestufen. Die Einstufung erfolgte danach, wie viel Zeit die für eine Person notwendige Hilfe benötigt.

Die Pflegestufe I gab es erst bei 90 Minuten Pflegebedarf täglich. Für Pflegestufe II waren 180 Minuten nötig, für Pflegestufe III 300 Minuten. Bewertet wurden dabei vor allem körperliche Fragen, zum Beispiel ob die Person eigenständig essen, sich anziehen oder für Bewegung sorgen kann. Demenzkranke Menschen erreichten dabei häufig nicht einmal die Pflegestufe I. Mustafa kommt von seinen Spaziergängen nicht mehr nach Hause? Naja, jedenfalls kann er noch gehen. Er vergisst zu essen? Aber er kann doch noch kochen. Mustafa verprasst sein ganzes Geld? Egal, er kann noch schreiben und sprechen.

Aufgrund dieser Mängel wurde das System reformiert und zum Jahresbeginn 2017 die Pflegegrade eingeführt. Es gibt nun fünf Pflegegrade. Die Einstufung erfolgt zwar nach wie vor mittels einer Begutachtung und eines Fragebogens. Dort spielen aber psychische und kognitive Beeinträchtigungen der Selbsthilfefähigkeit der pflegebedürftigen Person eine deutlich größere Rolle als allein körperliche Gebrechen. Auch der reine Zeitaufwand für Pflegepersonal/Angehörige hat ein geringeres Gewicht als zuvor bei den Pflegestufen. Es kommt mehr auf Fähigkeit der Person an, ein selbstständiges Leben zu führen.

Tipp 2: Wann gibt es welchen Pflegegrad?

Für die Frage, wann es welchen Pflegegrad gibt, kommt es auf das Maß der Schwierigkeiten an, die eine pflegebedürftige Person daran hindern, ein selbstständiges Leben zu führen. Um dies zu bestimmen, wird die betroffene Person mittels eines Kataloges von Fragen aus sechs Lebensbereichen begutachtet.

Je nachdem wie viel Kriterien erfüllt werden und wie diese zu gewichten sind, werden die Pflegegrade zugeteilt (§ 15 Abs. 3 SGB XI). Zum Beispiel gibt es den Fragenkatalog auf der Seite des Sozialverbandes Deutschland [PDF].

Tipp 3: Wie viel Geld gibt es bei welchem Pflegegrad?

Das Sozialgesetzbuch XI sieht verschiedene Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vor. Eine Übersicht findet sich in § 28 SGB XI. Es werden dabei verschiedene Leistungsarten mit ihren jeweiligen Höchstsummen unterschieden. Dazu folgende Übersicht:

PflegesachleistungenPflegegeldVollstationäre Pflege
Pflegegrad 1125 Euro
Pflegegrad 2724 Euro316 Euro770 Euro
Pflegegrad 31.363 Euro545 Euro1.262 Euro
Pflegegrad 41.693 Euro728 Euro1.775 Euro
Pflegegrad 52.095 Euro901 Euro2.005 Euro
Zeitpunkt der Datenlage: 26. Februar 2022

Bei der vollstationären Pflege fließt der Geldbetrag als Zuschuss an das Pflegeheim. Seit Januar 2022 gibt es hier außerdem einen weiteren besonderen Zuschlag. Die Beträge der Pflegesachleistungen erhalten Pflegebedürftige, die zu Hause von Angehörigen oder einem Pflegedienst betreut werden. Trotz des Begriffes „Sachleistungen“ fließt natürlich Geld.

Allerdings muss die Verwendung mit Rechnungen belegt werden und nur die belegte Höhe, nicht die angegeben Maximalsummen werden tatsächlich gezahlt. Pflegegeld erhält, wer ehrenamtlich Hilfe zu Hause für eine pflegebedürftige Person leistet (Angehörige, Freunde, Nachbar:innen). Neben diesen gibt es einige weitere Leistungen (zum Beispiel Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Entlastungsleistungen, Wohnraumanpassung, Hilfsmittel im Pflegeheim; siehe § 28 SGB XI).

Tipp 4: Antragstellung und Rechtsmittel (Widerspruch, Klage)

Den Weg zum Erhalt von Pflegegrad und den entsprechenden Leistungen möchte ich Ihnen in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung darstellen:

  1. Antrag bei der Gesetzlichen Pflegeversicherung. Diese ist der Krankenkasse zugeordnet; Sie können sich also einfach an jene wenden. Ein formloser Antrag genügt, zum Beispiel eine einfache Nachricht per E-Mail.
  2. Die Pflegeversicherung wird Ihnen nun Unterlagen zuschicken und einen Termin zur Begutachtung der pflegebedürftigen Person vorschlagen.
  3. Die Begutachtung wird durchgeführt. Angehörige dürfen anwesend sein.
  4. Das Ergebnis trifft ein. Ein Pflegegrad wird per „Bescheid“ zuerkannt.
  5. Damit können Sie nun die einzelnen Leistungen der Pflegeversicherung beantragen!

Sind Sie mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht zufrieden, zum Beispiel weil wichtige Aspekte vergessen wurden oder zu geringer Pflegegrad zuerkannt wurde, empfehle ich Ihnen, Widerspruch einzulegen. Dazu genügt ebenfalls ein formloses Schreiben an die Pflegeversicherung. Informationen dazu müssten auch auf dem Bescheid zu finden sein. Vorsicht: Die Frist zum Widerspruch beträgt einen Monat. Sie können den Widerspruch alleine einlegen oder schon an dieser Stelle eine:n Anwält:in einschalten. Spätestens bei abgelehntem Widerspruch und dann notwendiger Klage ist dies sehr zu empfehlen.

WBS und Ausbildungsduldung: Das müssen Sie wissen!

Geht Wohnberechtigungsschein (WBS) auch mit Ausbildungsduldung? Und was ist Ausbildungsduldung überhaupt? Das Verwaltungsgericht Berlin hat dazu entschieden.

Dieses Thema liegt an der Schnittstelle von gleich drei Rechtsgebieten. Der Wohnberechtigungsschein ist eine Sozialleistung (Sozialrecht), der seinen Inhaber*innen den Zugang zu staatlich geförderten Wohnungen gewährt (Mietrecht). Die Ausbildungsduldung ist eine Regelung des Aufenthaltsrechts. Das Verwaltungsgericht Berlin hat zuletzt mit einem Urteil schon frühere Entscheidungen dahingehend bestätigt, dass auch Personen mit Ausbildungsduldung einen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Wohnberechtigungsschein, Ausbildungsduldung – was ist das überhaupt genau?

Der Wohnberechtigungsschein ist Teil der staatlichen sozialen Wohnungspolitik. Wer unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze verdient, erhält ihn und damit die Berechtigung, besonders günstige Wohnungen anmieten zu dürfen. Der Bund hat die Einkommensgrenze dabei auf 12.000 Euro pro Jahr für eine Person, auf 18.000 Euro für einen Zweipersonenhaushalt und auf zusätzlich 4.100 Euro je weiteres Haushaltsmitglied (Kinder) festgelegt (§ 9 WoFG). Die Bundesländer können hiervon jedoch abweichen und so darf zum Beispiel in Berlin deutlich mehr verdient werden.

Die vergünstigte Wohnung, die mit dem WBS bezogen werden kann, muss übrigens nicht aus dem Angebot einer städtischen Wohnungsgesellschaft stammen. Auch private Vermieter*innen haben WBS-Wohnungen im Angebot. Die Stadt Berlin hat eine Website geschaltet, mit der Sie berechnen können, ob Sie mit Ihrem Einkommen für einen Wohnberechtigungsschein in Frage kommen.

Die Ausbildungsduldung ist eine besondere Art der Duldung. Die Duldung allgemein spielt im Rahmen des Aufenthaltsrechts eine Rolle. Eigentlich ist das ein Euphemismus, denn wen der deutsche Staat nur duldet, der hat gerade kein Aufenthaltsrecht mehr. Geregelt ist das alles im Aufenthaltsgesetz. Ein Aufenthaltsrecht kann Ausländer*innen darin aus verschiedenen Gründen zukommen: Ausbildung (§ 16), Erwerbstätigkeit (§ 18), völkerrechtliche, humanitäre oder politische Gründe (§ 22), Familienzusammenführung (§ 27) und weitere (§§ 37 ff). Die Duldung kommt erst ins Spiel, wenn es um die Beendigung des Aufenthalts geht (§§ 50 ff).

Ausländer*innen ohne Aufenthaltsrecht droht die Abschiebung. Die Duldung wiederum setzt die Vollstreckung der Abschiebung aus besonderen Gründen aus (§ 60a ff). Sie gewährt aber kein echtes Aufenthaltsrecht. Fällt der besondere Grund weg, kann die Abschiebung sofort vollzogen werden (allerdings gibt es in Deutschland tausende Fälle sogenannter Kettenduldungen, bei denen Duldung auf Duldung folgt und die für die Betroffenen besonders belastend sind).

Wenige Gesetze werden so oft geändert, wie das Aufenthaltsgesetz. Die Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG wurde 2016 neu eingeführt. Hintergrund war, dass die Bundesregierung (jungen) Flüchtlingen eine Bleibeperspektive bei „guter Führung“ in Aussicht stellen wollte, ohne ihnen allerdings gleich ein echtes Aufenthaltsrecht zuzugestehen. Nach § 60c AufenthG werden Auszubildende grundsätzlich für die gesamte Dauer ihrer Berufsausbildung (in der Regel drei Jahre) geduldet. Danach besteht die Möglichkeit für eine sich anschließende Beschäftigung ein befristetes Aufenthaltsrecht zu bekommen (§ 19d AufenthG). Nach acht Jahren (sechs Jahre bei Familien) kann ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erlangt werden (§ 25b AufenthG). Es wird deutlich: Wenn alles glattläuft (es gibt allerdings viele Fallstricke), können junge Flüchtlinge trotz Ablehnung ihres Asylantrages zu einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis kommen.

Wohnberechtigungsschein (WBS), Ausbildungsduldung, die Bürokratie macht es einem nicht leicht!

Wie hängen Wohnberechtigungsschein und Ausbildungsduldung zusammen? Und: Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin.

Der Kreis der Antragsberechtigten für den Wohnberechtigungsschein wird im Wohnraumförderungsgesetz nicht konkret, sondern abstrakt bestimmt. Nach § 27 Abs. 2 Satz 2 WoFG kann einen Wohnberechtigungsschein erhalten, wer sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten und […] rechtlich und tatsächlich in der Lage [ist], für sich und ihre Haushaltsangehörigen nach § 18 auf längere Dauer einen Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen […]“. Die Frage ist also, ob dies auf Personen mit Ausbildungsduldung zutrifft.

In den vom Verwaltungsgericht Berlin entschiedenen Fällen hatten das verschiedene Berliner Bezirksämter abgelehnt und keine WBS ausgestellt. Sie beriefen sich darauf, dass die Ausbildungsduldung gerade kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht sei, sondern eine Duldung bleibe. In rechtlicher Hinsicht trifft dies natürlich zu. Denn bei der Duldung wird nur die Abschiebung ausgesetzt (s.o.). Die Ausbildungsduldung steht im Aufenthaltsgesetz auch nicht bei den echten Aufenthaltstiteln, sondern im Abschnitt der Duldung. In tatsächlicher Hinsicht verleiht die Ausbildungsduldung Flüchtlingen aber eine recht lange, sichere Bleibeperspektive.

So sah es auch das Verwaltungsgericht Berlin. In seinen Urteilen vom 25. Juni 2019 – 8 K 202.18 –, 01. August 2019 – 8 K 163.19 – und 14. Januar 2021 – 8 K 81/20 – entschied es, dass die Ausbildungsduldung für einen Wohnberechtigungsschein ausreicht. Die Ausbildungsduldung verwische den aufenthaltsrechtlichen Unterschied zwischen Duldung und Aufenthaltserlaubnis. Sie solle Ausländer*innen und dem Ausbildungsbetrieb Rechtssicherheit für die Zeit der Ausbildung geben.

Die Ausbildungsduldung erlösche auch nicht einfach. Sofern sich alles so ergibt, wie gesetzlich vorgesehen, führe die Ausbildungsduldung über den oben beschriebenen Weg zu einem echten und dauerhaften Aufenthaltsrecht. Insofern sehe die Ausbildungsduldung den von der Rechtsordnung im Übrigen missbilligten „Spurwechsel“ (von Duldung zu Aufenthaltsrecht) ausdrücklich vor.

Das Verwaltungsgericht hat in meinen Augen ein gutes Urteil für die Sache der in Deutschland nur Geduldeten ausgesprochen. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Sache sieht, denn es hat über dieses Thema noch nicht entschieden.

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