Spracherkennung „Dragon“ auf Rezept – So geht’s!

Auf die Software zur Spracherkennung „Dragon“ besteht für gesetzlich Versicherte ein Anspruch gegen die Krankenkasse – bei entsprechendem Hilfebedarf.

Schwierigkeiten beim Schreiben und Tippen

Ellie ist ein neunjähriges Mädchen. Sie besucht die Schule und geht am Nachmittag ihren Lieblingsfreizeitaktivitäten nach. Dennoch läuft bei ihr alles ein bisschen anders als bei den übrigen Kindern ihres Alters. Denn zum Leben von Ellie gehört auch der Umstand, dass sie von einer Zerebralparese betroffen ist. Durch eine Hirnblutung im Kleinkindalter ist ihre Bewegungssteuerung gestört; ihre Motorik ist zum Teil ruckartig, ihre Muskeln sind versteift. Besonders betroffen davon sind ihre Handbewegungen. Das Halten eines Stiftes fällt Ellie sehr schwer, ihre Handschrift ist kaum lesbar. Auch die Bedienung einer Computertastatur will nicht gelingen.

Spracherkennung mit „Dragon“

Nun ist das kein Nachteil, den man beim heutigen Stand der Technik nicht ausgleichen könnte. Handys lassen sich per Sprachsteuerung bedienen. Am Computer können ganze Texte per Spracherkennung diktiert werden. Doch, wer kennt es nicht, ganz so gut funktioniert die Spracheingabe dann meistens nicht. Das Handy stellt den Wecker eine Stunde zu spät ein, der Computer verdreht die Wörter. Deshalb gibt es darüber hinaus professionelle Programme. Sie haben einen größeren Funktionsumfang, vor allem aber eine präzisere Spracherkennung. „Dragon“ ist ein oft in diesem Zusammenhang genanntes Programm. Es hat seinen Preis, kostet aber kein Vermögen. Na bravo! Wäre das nicht das richtige für Ellie?

Spracherkennungssoftware auf Rezept!
Unbezahlte Werbung. Illustrationen: Nuance

Ablehnung von der Krankenkasse

Ja, sagen die Eltern von Ellie. Nein, sagt die Gesetzliche Krankenkasse, bei der die Eltern die Kostenübernahme von knapp 600 Euro im Jahr 2016 beantragt haben. Das hört sich nach einem besonders fiesen Fall von Verweigerung der Krankenkasse an und ist es auch. Ein behindertes Kind soll in der Schule und Zuhause altersgerecht schreiben und den Computer bedienen können und die Krankenkasse stellt sich quer? Ihre Argumente:

  • Bei der Software handele es sich um einen handelsüblichen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. (→ § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V)
  • Die Sprachansteuerung des PCs könne problemlos über die übliche Windows-Software erfolgen.
  • Es stelle sich zudem die Frage, warum der Schulträger diese Software nicht zur Verfügung stelle. Diese Frage sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Schulgesetz bestimme, dass die öffentlichen Schulen allen Schülerinnen und Schülern einen barrierefreien und gleichberechtigten Zugang zu ermöglichen haben.

Die Entscheidung des Sozialgerichts

Das sind durchweg schwache Argumente. Zum Glück hat sich ein Anwalt der Sache angenommen und auch die Gerichte sind Ellie beigesprungen. In der ersten Instanz wurde die Krankenkasse vom Sozialgericht Oldenburg zur Übernahme der Kosten für die Spracherkennungs-Software Dragon verurteilt. Da die Krankenkasse hiergegen noch in Berufung ging, musste sich schließlich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit der Sache befassen (Urteil vom 01.04.2020 – L 4 KR 187/18). In seinem Urteil entkräftete es die Argumentation der Krankenkasse:

  • Die Versorgung sei in diesem Einzelfall auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Hilfsmittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist. Denn zu dem Zweck, die Behinderung von Ellie, insbesondere die motorischen Einschränkungen der Hände auszugleichen und so eine einigermaßen gleichgestellte Leistungsfähigkeit im schulischen Bereich zu ermöglichen, werde die Spracherkennungs-Software Dragon üblicherweise nicht von Kindern genutzt.
  • Ellie könne nicht auf die Windows-eigene Sprachsteuerung (Cortana) verwiesen werden, die jedenfalls Mitte 2016 noch nicht so entwickelt war, dass bereits das Erstellen und Verfassen von Kurz- und Langtexten für ein Kind unproblematisch möglich war.
  • Gegen die Schule bestehe kein Anspruch auf Ausstattung des Arbeitsplatzes von Ellie mit Dragon. Selbst wenn, helfe dies nicht darüber hinweg, dass die Software auch zu Hause benötigt wird.

Fazit

Das Urteil zeigt mal wieder, dass es lohnt, sich nicht mit ablehnenden Bescheide der Gesetzlichen Krankenkassen zufriedenzugeben. Egal, ob es gerade um Ausstattung mit Software zur Spracherkennung oder um etwas anderes geht: Die Krankenkassen haben in Teilen den gesetzlichen Auftrag knauserig zu sein, aber das ist nicht jedes Mal gerechtfertigt.

Hier geht’s zum Urteil des Landessozialgerichts, hier zu einer zusammenfassenden Pressemitteilung desselben.

Urlaubsland entscheidend – Nur in der EU gibt es Krankengeld!

Ein Anspruch auf Krankengeld besteht dann, wenn eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt und bescheinigt wurde. Verreisen ist deswegen aber nicht verboten. Die Reise muss aber in die Europäische Union gehen – außerhalb der EU ist der Anspruch dahin – anders nur, wenn die KV zugestimmt hat. Dies hat das Sozialgericht Würzburg am 13.12.2016 (S 6 KR 511/16) entschieden.

Behandlung oder Genesung auch im Nachbarland möglich

Der Kläger erlitt einen Bandscheibenvorfall und war deswegen arbeitsunfähig. Wegen der Beschwerden musste er sich einer Operation am Rücken unterziehen. Nach der Operation verordnete die behandelnde Ärztin ihm Krankengymnastik. Diese wollte der Kläger nicht in Deutschland machen, sondern im Nachbarland, weil er dort einen Urlaub geplant hatte. Der medizinische Dienst der Krankenkasse verweigerte ihm daraufhin das Krankengeld unter dem Hinweis, dass die Krankengymnastik in Deutschland durchgeführt werden müsse und dass die gleiche Behandlung im Ausland den Heilungsprozess nicht fördern würde. Da hat die Krankenkasse die Rechnung aber ohne das Gericht gemacht. Vollkommen zu Recht entschied das Gericht, dass der Kläger auch die Krankengymnastik im Nachbarland machen könne.

Sogar beim Umzug ins europäische Ausland besteht der Anspruch weiterhin, so in einem anderen Urteil das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, 06.07.2017 (L 5 KR 135/16). Das Gericht sprach einer Frau das Krankengeld zu, die dauerhaft nach Spanien umgezogen war. Grund dafür sind europarechtliche Bestimmungen.

So verhalten Sie sich richtig:

Grundsätzlich muss laut Gesetz vor einer Reise ins Ausland die Zustimmung der Versicherung eingeholt werden. Ansonsten ruht der Anspruch auf Krankengeld.

Eine Ausnahme gilt nur für die Reise in Länder der Europäischen Union.Bei diesen Ländern muss die Zustimmung zum Auslandaufenthalt nicht eingeholt werden. Denn als Ausland gelten nur die Länder außerhalb der EU. Lassen Sie sich nicht von der Krankenversicherung abspeisen, Sie können auch in Spanien oder Italien Krankengeld erhalten! Und da nervt Sie weder der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) noch der Denunziantennachbar, der meint, dass Sie wieder gesund sind und mal bei der Krankenversicherung anruft!

Krankengeld jetzt auch bei „verspätetem Arztbesuch“?

Von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht Marek Schauer

Krankengeld erhält, wer aufgrund ärztlicher Feststellung arbeitsunfähig („AU“) ist. Die fortlaufende Krankengeldzahlung setzt dabei auch eine lückenlose Feststellung der Arbeitsunfähigkeit voraus. Aufgrund der verwirrenden Gesetzesformulierung tappten viele Krankengeldbezieher in die sog. „Krankengeldfalle“. In der Vergangenheit waren solche Fälle in meiner Praxis fast aussichtslos. Wenn die Lückenlosigkeit z.B. durch die Schuld des Arztes nicht festgestellt wurde, wurden die Mandanten oftmals auf die Zivilgerichte für Schadensersatzklagen verwiesen.

Stellten Ärzte die Folgebescheinigungen erst am Tag nach dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus, war die Feststellung nämlich nicht lückenlos. Krankenkassen verweigerten dann die weitere Krankengeldzahlung. Das Bundessozialgericht (BSG) gab den Krankenkassen Recht (vgl. nur BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R).

Bis jetzt.

In seiner Entscheidung vom 11. Mai 2017 (B 3 KR 22/15 R) wandte sich das BSG gegen die bisherige Rechtsprechung und sprach der Krankengeldempfängerin weiterhin Krankengeld zu.

Hier geht es zur Pressemitteilung.

Auch hier hatte die Klägerin auf die Aussage ihres Arztes vertraut. Dieser hatte ihr mitgeteilt, dass es ausreiche, wenn eine weitere Arbeitsunfähigkeits-Feststellung erst am Tag nach dem Ende der letzten Krankschreibung erfolgt. Auch in diesem Fall wollte die Krankenkasse nicht mehr zahlen.

Dem schob das BSG nun einen Riegel vor!

Das BSG erweiterte die wenigen bereits anerkannten Ausnahmefälle um dem Schutz des Versicherten in der sozialen Krankenversicherung gerecht zu werden. Bisher bestand der Krankengeldanspruch nur weiter, wenn die AU-Feststellung durch Umstände verhindert wurde, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sind (vgl. BSG, Urteil v. 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R).

Nun liegt auch dann ein Krankengeld begründender Ausnahmefall vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit-Bescheinigung irrtümlich aus nichtmedizinischen Gründen nicht zeitgerecht erstellt wurde. Voraussetzung hierfür ist unter anderem, dass der Betroffene alles in seiner Macht Stehende getan hat, um seine Ansprüche zu wahren. Durch die Entscheidung dürfte es Betroffenen in Zukunft leichter fallen, Krankengeldansprüche bei falscher ärztlicher Auskunft aufrecht zu erhalten.

Elektronische Gesundheitskarte ist verfassungsgemäß – Foto ist Pflicht

Mit Beschluss vom 07.11.2013 (S 81 KR 2176/13 ER) hat das Sozialgericht Berlin im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens entschieden, dass gesetzlich Krankenversicherte verpflichtet sind, zum Nachweis ihres Versicherungsschutzes ab dem 1. Januar 2014 die elektronische Gesundheitskarte zu benutzen. Es besteht kein Anspruch gegen die Krankenkassen auf Ausstellung eines anderweitigen Versicherungsnachweises. Sowohl die Nutzungspflicht als auch die Speicherung der Personaldaten auf der Karte sind durch ein überwiegendes Interesse der Versichertengemeinschaft gedeckt. Sie sichern eine effektive Leistungserbringung und Abrechnung. Das obligatorische Foto erleichtert die Identitätskontrolle und verhindert damit einen Missbrauch der Karte.

Zum 1. Januar 2014 wird die Nutzung der seit Jahren umstrittenen elektronischen Gesundheitskarte Pflicht für alle Versicherten. Bereits seit einigen Monaten wehren sich Versicherte vor allem wegen datenschutzrechtlicher Bedenken auch vor dem Sozialgericht Berlin gegen die Einführung der Karte. Bisher wurden die entsprechenden Rechtsschutzanträge wegen fehlender Dringlichkeit abgewiesen. Erstmals lehnte das Sozialgericht einen Antrag nun auch aus inhaltlichen Gründen ab.

Der Antragsteller sei gesetzlich verpflichtet, ab dem 1. Januar 2014 zum Nachweis seines Versicherungsschutzes die elektronische Gesundheitskarte zu nutzen. Diese Nutzungspflicht beschränke zwar die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers, sei jedoch durch das Interesse der Solidargemeinschaft an einer effektiven Leistungserbringung und Abrechnung der Behandlungskosten gerechtfertigt.

Der Antragsteller sei auch zur Mitwirkung verpflichtet. Ohne die Übersendung der Personaldaten und eines Lichtbildes könne die Krankenkasse seine Karte nicht erstellen.

Bei der Erweiterung der Krankenversicherungskarte zur elektronischen Gesundheitskarte ändere sich nichts am Umfang der Daten, die zwingend auf der Karte enthalten seien. Weder die Speicherung dieser Daten noch das Photo verletzten das Sozialgeheimnis des Antragstellers oder sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (abgeleitet aus Art. 2 Abs. 1 und 1 Abs. 1 Grundgesetz). Das Allgemeininteresse an der Darstellung des Lichtbildes und der Speicherung der Daten überwiege erheblich das Individualinteresse des Antragstellers. Der damit verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müsse hingenommen werden. Die zwingend anzugebenden Personaldaten beträfen keine höchstpersönlichen oder sensiblen Verhältnisse des Versicherten. Das Versicherungssystem könne im Übrigen nur funktionieren, wenn sich alle Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen ausweisen würden. Der Umstand, dass die elektronische Gesundheitskarte technisch geeignet sei, weitere Angaben und Funktionalitäten aufzunehmen, stehe der Nutzung nicht entgegen. Zum einen seien diese erweiterten Möglichkeiten noch gar nicht eingeführt. Zum anderen sei die erweiterte technische Nutzung laut Gesetz nur bei entsprechender Zustimmung der Versicherten zulässig.

Hinweis: Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung mit Urteil vom 18. November 2014 (Az. B 1 KR 35/13 R) mittlerweile bestätigt.