Bundessozialgericht stärkt Pflege-WGs

Wohngemeinschaften sind unter Studierenden und anderen jungen Leuten ein alter Hut. Doch auch die Zahl der Senioren-WGs nimmt mittlerweile zu. Die Vorteile liegen auf der Hand. Gemeinschaftliches Wohnen kann Einsamkeit im Alter entgegenwirken. Das Leben in der Wohngemeinschaft ist in der Regel auch günstiger als alleine oder zu zweit. Schließlich können sich die zusammenlebenden Senioren gegenseitig unterstützen. Natürlich verlangt das alles ein wenig guten Willen, denn je mehr Personen, desto mehr Meinungen leben auch unter einem Dach.

Die finanzielle Förderung von Pflege-WGs

Doch auch der Staat hat das Potential von Pflege-WGs erkannt und fördert diese seit 2012 mit dem sogenannten Wohngruppenzuschlag. Nach § 38a SGB XI erhalten die Bewohner*innen solcher WGs zusätzlich 214 Euro monatlich, um „[eine beauftragte Person] allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten verrichten oder die Wohngruppenmitglieder bei der Haushaltsführung unterstützen [zu lassen].“ Dabei lässt der Staat in Person der Pflegekassen natürlich den Rubel auch nicht ganz uneigennützig springen. Vielmehr soll ein Anreiz gesetzt werden, im Fall der Pflegebedürftigkeit nicht gleich die vollstationäre Pflege in Anspruch zu nehmen, die gewöhnlich deutlich teurer ist.

Leider haben in der Praxis weniger Personen von dieser Förderung profitiert als diese es sich erhofften. Vielen wurde der beantragte Zuschlag verweigert, weil die Pflegekassen die Voraussetzungen nicht vorliegen sahen. Die Wohnung sei nicht gemeinschaftlich genug. Die Unterstützung der WG werde nicht durch eine einzige Person, sondern durch mehrere oder durch einen Verein oder ein Unternehmen besorgt. Oder schließlich, die Unterstützung sei nicht in ausreichender Weise gemeinschaftlich beauftragt worden. Die Sozialgerichte und Landessozialgerichte bestätigten in der Regel die Ablehnung der Leistungen.

Bundessozialgericht hilft Wohngemeinschaften

Dem hat das Bundessozialgericht (BSG) nun einen Riegel vorgeschoben. Mit drei Urteilen vom 10. September 2020 (Aktenzeichen B 3 P 2/19 R, B 3 P 3/19 R, B 3 P 1/20 R) entschied es, dass die Latte für den Erhalt des Wohngruppenzuschlags nicht zu hoch gehängt werden dürfe (Pressemitteilung). Das gesetzliche Ziel, ambulante Wohnformen pflegebedürftiger Menschen unter Beachtung ihres Selbstbestimmungsrechts nach § 2 Abs. 1 SGB XI zu fördern, sei zu beachten. Natürliche müsse sichergestellt bleiben, dass nicht professionelle Anbieter ihre Angebote an stationärer Vollpflege als Wohngemeinschaften umdeklarierten, um in den Genuss der Förderung zu kommen. Dabei liege eine ambulante, wohngruppenzuschlagstaugliche Versorgungsform vor, „wenn keine vollständige Übertragung der Verantwortung ohne freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen erfolgt, sondern wenn die Versorgung auf die Übernahme von Aufgaben durch Dritte angelegt ist, unabhängig davon, ob auch tatsächlich davon in bestimmter Weise Gebrauch gemacht wird.“ Denn mit dem Wohngruppenzuschlag solle Pflegebedürftigen geholfen werden, die noch selbst einen Großteil ihres Alltags bewältigten und die nur punktuelle Unterstützung benötigen.

Senioren-WGs dürfen also Vereine oder Unternehmen für die allgemeine Unterstützungsleistungen beauftragen; sie dürfen eine eigene Küchenzeile in ihrem persönlichen Zimmer haben, wenn darüber hinaus auch noch Gemeinschaftsräume verfügbar sind; die in § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI geforderte „gemeinschaftliche Beauftragung“ darf auch konkludent geschehen, d.h. bei jedem Zuzug eines Bewohners muss nicht ein neuer schriftlicher Beschluss gefasst werden. Auch, wenn die Pflegekasse den Antrag auf Wohngruppenzuschlag aus anderen Gründen ablehnt, dürfte nach dem neuen Urteil des BSG eine gerichtliche Überprüfung des Bescheids bessere Aussicht auf Erfolg haben. Übrigens ist der Wohngruppenzuschlag nicht nur für Senioren-WGs möglich; auch alle anderen Arten von Pflege-WGs können ihn erhalten.